Statement zur Zugangsstudie aus Sicht des individuellen langfristigen Schüleraustauschs
Als Vertreterinnen und Vertreter des gemeinnützigen langfristigen Schüleraustauschs interessieren uns seit jeher die Fragen, wie wir möglichst vielen Jugendlichen einen Austausch ermöglichen können, unabhängig von Ausbildung, Schulbildung und finanziellem Hintergrund. Wie können wir möglichst viele Jugendliche durch unsere Ehrenamtsarbeit motivieren, sich für die non-formale bildungspolitische Arbeit als aktiver Teil der Gesellschaft, einzubringen. Damit verbunden sind für uns die Fragen wichtig, welche Zugänge und Barrieren die Jugendlichen selbst für einen Austausch sehen und wie wir diese Barrieren noch besser abbauen können. Die Mitglieder des AJA entsenden seit mehr als 70 Jahren jedes Jahr ca. 4000 Jugendliche in über 50 Länder weltweit und ermöglichen ca. 2.000 Jugendliche aus über 50 Ländern für einen langfristen Schüleraustausch nach Deutschland. Dieser beidseitige Austausch ist das Alleinstellungsmerkmal der AJA-Mitglieder. In ihrem Netzwerk aus insgesamt über 10.000 ehrenamtlich Aktiven, zumeist jungen Menschen und Gastfamilien,werden die bildungspädagogischen Austauschprogramme vorbereitet, betreut und nachbereitet. Durch unsere umfassende Ehrenamtsarbeit werden junge Menschen befähigt, sich in ihrer Freizeit langfristig in Deutschland für das Gemeinwohl zu engagieren. Als Dachverband der acht größten gemeinnützigenAustauschorganisationen in Deutschland werden wir nachfolgenddie Ergebnisse darstellen, die aus unserer Sicht für die weitere Diskussion im Feld von Bedeutung sind:
Langfristiger Schüleraustausch –kein Format im Kontext der formalen Bildung
In der Zugangsstudie wird der internationale Jugendaustausch unterteilt in unterschiedliche Formate, die im Kontext formaler und nonformaler Bildung stattfinden. Wie die Abbildung von Becker und Thimmel deutlich macht, ordnen beide den langfristigen individuellen Schüleraustausch in den Kontext des formalen Bildungsbereich ein. Diese Einteilung ist unserer Ansicht nach falsch: Die langfristigen individuellen Austauschprogramme werden von außerschulischen Trägernder freien Jugendhilfe (und nicht z.B. von Schulen) durchgeführt. Darüber hinaus basiert die Arbeit dieser Träger auf starkem Engagement eines großen Netzwerkes aus ehrenamtlich aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die nach den Prinzipien der Offenheit, Freiwilligkeit und Partizipation erfolgen. Die Ausgestaltung dieser Austauschprogramme mit vorbereitenden und nachbereitenden Seminaren, umfassender Betreuung und die Weiterentwicklung der Austauschprogramme lassen sich mehr als eindeutig in den Kontext der non-formalen Bildung einordnen. Selbst Thimmel beschreibt die Merkmale nonformaler Bildung und definiert diese folgendermaßen: „unter nonformaler Bildung sind Formen organisierter Bildung zu verstehen, die in der Regel freiwilliger Natur sind […]. […]. Dabei sind Offenheit, Freiwilligkeit und Partizipationkonstitutiv für den nonformalen Bildungsbereich. Dabei berücksichtigt Jugendarbeit [Anmerk.: langfristiger Schüleraustausch!] Herausforderungen der Jugendphase und des Jugendalters sowie die lebensweltlichen Bedingungen des Aufwachsens in einer demokratischen, aber auch von sozialer Ungleichheit geprägten und globalisierten Gesellschaft. Die Ermöglichung von Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und der Anerkennung bilden den Kern der emanzipatorischen nonformalen Bildung […].“
Basierend auf dieser Definition ist eine Zuordnung in den Kontext der formalen Bildung und die daraus resultierenden Interpretationen ein systematischer Fehler, der sich durch die gesamte Publikation zieht und auch die strukturelle und politische Diskussion prägt.
Zentrale Erkenntnisse der Studie
Abgesehen von der oben ausgeführten Erläuterung zur Formatklassifikation wollen wir den Blick auf die zentralen Erkenntnisse der Studie legen, die für unsere Arbeit, aber auch für das Feld des internationalen Jugendaustausches, wichtig sind: 26% aller Jugendlichen nehmen an internationalen Austauschprogrammen teil. Über 60% Jugendliche interessieren sich für Austauschprogramme, unabhängig von ihrer Bildungsschicht und Milieuzugehörigkeit. Zugangsbarrieren für die Jugendlichen sind vielfältig und individuell, wobei ein wichtiges Hindernis die Annahme ist, dass die finanziellen Gründe überwiegen. Vor dem Hintergrund der vorhandenen Angebote zahlreicher staatlich geförderter Träger in Deutschland sind 26% erreichte Jugendliche, zumeist aus gymnasialen Schulformen, zu gering. Lässt sich weiterhin feststellen, dass über 60% derJugendlichen, (sogar) unabhängig von Bildungsschicht und Milieuzugehörigkeit an Austauschprogrammen interessiert sind, sollte man die Gründe, warum die Jugendlichen nicht teilnehmen, genauer untersuchen. Liegt es „nur“ ander Annahme, dass es an den finanziellen Kosten liegt, die als größte Zugangshürde angesehen werden oder liegen noch andere strukturelle Gründe vor? Interpretationen lassen sich hierzu in der Studie entweder nur vage oder gar nicht finden. Hier geht die Studie aus unserer Sicht nicht weit genug. Schaut man sich die oben aufgeführten drei Punkte an, dann kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass die Austauschprogramme kein selbstverständlicher Bestandteil der Lebenswelten von Jugendlichen in Deutschland darstellen – auch eine Erkenntnis der Studie.
Fazit -ein Anfang ist gemacht –viele Schritte sind zu tun
Wir begrüßen die wissenschaftliche Untersuchung und die Veröffentlichung der Zugangsstudie. Sie eröffnet uns in einem ersten Schritt die Sicht-und Lebensweisen zum internationalen Austausch von Jugendlichen. In den Einzelfallstudien von unterschiedlicher Qualitäten werden die Jugendlichen in ihren unterschiedlichen Lebenswelten und nach bestimmten Milieus geclustert und die Denk-und Sichtweisen über den internationalen Jugendaustausch beschrieben. Diese Einblicke gibt es bisherin dieser Form noch nicht, gleichwohl die Studie Lücken aufzeigt und an vielen Stellen Fragen nach vertiefenden Ergebnissen und Interpretationen stellt. Was muss nun also folgen? Es ist klar, dass alle Jugendlichen egal welcher Schulform die Möglichkeit haben sollten, an Austauschprogrammen, unabhängig von Dauer und Destination, teilzunehmen. AJA setzt sich mit Nachdruck dafür ein, dass in der weiteren Diskussion keine Klientel-Politik seitens der internationalen Jugendarbeit stattfindet und dass alle Trägerim internationalen Jugendaustausch, unbedingt in Zusammenarbeit z.B. mit Bundesministerien, Kultusministerien und Schulen, an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Ein „weiter so“ kann es unsere Ansicht nach nicht geben. Dazu ist die Teilnahme von nur 26% der Jugendlichen an verschiedenen, in erster Linie staatlich geförderten Austauschformaten zu alarmierend. AJA und seine Mitgliedsorganisationen sind mit der Vielfalt ihrer Partnerländer, ihren internationalen Netzwerken und der pädagogisch orientierten Programmausgestaltung ein überaus qualitativ wichtiger Partner, um hier gemeinsam weitere Akzente zu setzen.